When We Disappear – Hannah taucht in Basel auf

Veröffentlicht am 19.4.2024, zuletzt geändert am 24.4.2024 #Story#Zeitgeschichte

Im Videogame “When We Disappear” versuchen Lernende die Figur Hannah aus Amsterdam nach Basel in Sicherheit zu bringen – dies im Jahr 1943. Im Spiel erleben sie eine schwere historische Situation gewissermassen als Betroffene.

Eine Fluchtgeschichte – selbst erlebt

Darf man eine Geschichte aus dem Holocaust in einem Videogame vermitteln? Dieses basiert auf historischer Forschung und den Interviews von rund zwanzig Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Es bündelt deren Erinnerungen und den Stand der Forschung in einer Kollektivbiografie: Die 13-jährige Hannah wird im Sammellager, der Schouwburg in Amsterdam, von ihren Eltern getrennt. Ihr gelingt die Flucht aus dem Lager. Sie steht vor dem Dilemma aller fliehenden Menschen: Soll sie untertauchen oder das Land verlassen? Vor solche Entscheidungen werden die Spielenden immer wieder gestellt. Sie kennen die Regeln nicht, nach denen sie entscheiden sollen. Dies im Gegensatz zu einem «echten» Game – aber wie auf einer realen Flucht. Hannah wird später gefasst und in einem Transportzug nach Auschwitz verschleppt. Unterwegs gelingt es ihr – wie historisch bezeugt – der Sprung aus dem Zug. Sie hofft auf eine Rettung in der Schweiz und schlägt sich bis Lörrach durch. Hier vernimmt sie, dass die «Eiserne Hand», ein nicht durch Stacheldraht abgeriegeltes Waldstück oberhalb von Riehen, die Chance bietet, in die Schweiz zu gelangen. Die «Eiserne Hand» war eine viel begangene Fluchtroute.

Schematische Karte mit der Fluchtroute.
Abb.1: Die Flucht der Hannah: Plot der Geschichte.

Die Spielenden müssen Hannah durch den Wald und an Patrouillen vorbei steuern. An der Grenze zum Maienbühlhof steht Hannah vor der Wahl, ob sie – durchfroren und erschöpft – auf dem Hof Zuflucht suchen oder versteckt den Weg weiter hinein nach Riehen fortsetzen soll.

Screenshot aus dem Videogame mit dem Mädchen im Wald.
Abb. 2: Hannah an der Schweizer Grenze – und vor einer Entscheidung.

Früher oder später wird sie von der Grenzwache verhaftet. Soll sie auszureissen versuchen oder sich abführen lassen? Solche Entscheidungen muss sie treffen, und je nachdem fällt der Entscheid der Behörden unterschiedlich aus: Sie wird den Deutschen ausgeliefert oder sie erhält immerhin die Chance, unerkannt nach Deutschland zurückzukehren, oder sie wird in der Schweiz aufgenommen. Die Spielenden erleben die Schweizer Flüchtlingspolitik aus der Perspektive von Geflüchteten. Aber: ein aus Syrien geflohener Schüler: «Das Game ist sehr gut gemacht – aber eine richtige Flucht ist viel, viel schlimmer.»

Der Hintergrund

Das Storytelling-Studio Inlusio Interactive aus Zürich und die Pädagogische Hochschule Luzern entwickeln gemeinsam dieses Videogame seit 2019. Sie erkunden einen neuen Weg in der Geschichtsvermittlung: die Verbindung von Geschichte und Game. Vergangene Geschichte ist für Schülerinnen und Schüler schwer zugänglich – mit Videogames können sie nun Geschichte interaktiv gestalten und sich damit in Probleme der Flucht – damals wie heute – hineinversetzen; sie können sogar die Fluchtroute abschreiten.

Fotografie mit Schild "Grenzübertritt verboten".
Spuren der Geschichte im Gelände: ein fast überwachsenes Schild an der «Eisernen Hand», 2023.

Weil die Arbeitsgemeinschaft in der Holocaust-Bildung Neuland betritt, wird das Game laufend in Schulklassen erprobt. Schülerinnen, Schüler, Lehrpersonen und Fachleute beurteilen es sehr positiv. Der Handlungsstrang ist fertig und soll weiter ausdifferenziert werden. Ferner soll das Videogame auf unterschiedlichen Games-Plattformen zu spielen sein.

Institutionenporträt

Inlusio Interactive aus Zürich produziert interaktive Geschichten zu gesellschaftlichen Themen für einen sozialen Impact. Das Institut für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen der Pädagogischen Hochschule Luzern entwickelt u. a. neue Bildungsmedien.

Quellen

Abbildungen

Abb. 1: Pädagogische Hochschule Luzern.

Abb. 2: Inlusio Interactive.

Abb. 3: Pädagogische Hochschule Luzern, Hans Utz.

Autor*innen

Robin Burgauer, Inlusio Interactive, Produzent

Peter Gautschi, Pädagogische Hochschule Luzern, Geschichtsvermittlung und historische Bildung

Hans Utz, Pädagogische Hochschule Luzern, Recherche und Inhalt

Robbert van Rooden, Inlusio Interactive, Produzent