Eine Stadt sieht rot: Das Postbetriebsgebäude 2

“Rostbalken”, “roter Klotz” oder “Blutwurst” – die Übernamen für das Postbetriebsgebäude Basel 2 am Bahnhof SBB sind nicht eben schmeichelhaft. Für den Chefredaktor der bz repräsentiert es “die intellektuell verspielte, aber leicht verknorzte und städtebaulich ungeschickte Architektur der 1970er-Jahre”. Und doch wird das imposante Gebäude dem einen oder anderen fehlen, wenn sein Rumpf dereinst abgebaut sein wird. Doch beginnen wir von vorne.

Errichtet wurde der Bau vom Basler Architekturbüro Suter + Suter AG, das nach dem Zweiten Weltkrieg in der Region und schweizweit eine immense Planungs- und Bautätigkeit entfaltete. Zwischen 1971 und 1974 wurden im Gleisfeld des Bahnhofs das Fundament und die Stahlstützen errichtet und im Taktschiebeverfahren der sogenannte “Postreiter” darüber geschoben, “ein Glanzstück der Ingenieurskunst”, schwärmt ein Ernst Meister im “Basler Stadtbuch” 1980 anlässlich der Eröffnung des Neubaus. Die Architekten hatten die ambitionierte Auflage, den Bahnbetrieb möglichst wenig zu beeinträchtigen.

Das PTT Betriebsgebäude Suter Suter.
Abb. 1: Das Betriebsgebäude von Suter + Suter.

In einer zweiten Etappe (1975 bis 1980) wurde der so genannte “Festlandbau” errichtet. Im Juni 1980 konnten die PTT ihren Neubau in Betrieb nehmen – mit 200 Millionen Franken immerhin der teuerste und der grösste in ihrer Geschichte. 1’200 Mitarbeitende bearbeiteten dort täglich 100’000 Pakete und 1,2 Millionen Briefe. So steht es in der Basler Zeitung vom 29. August 1980 anlässlich der Einweihung, wo der damalige PTT-Generaldirektor zudem mit folgenden Worten zitiert wird: “Die Post soll auch in Zukunft nicht von Robotern beherrscht, sondern von Menschen für Menschen gestaltet und betrieben werden.” Vom Poststellen-Sterben der 2000er-Jahre war man noch Meilen weit entfernt. Die intelligenten Maschinen waren erst Kopfgeburten.

Das Betriebsgebäude Heman .
Abb. 2: Das Betriebsgebäude Heman.

Eigenfabrikat aus den Vogesen

Während die hochmoderne Logistik im Gebäude den Zeitgenossen offenbar imponierte, war der “Look” des Gebäudes von Anfang an umstritten, vor allem die Farbe polarisierte. Dazu ein Leserbriefschreiber in der Basler Zeitung vom 7. April 1979: “Ich habe gemeint, dass der hässliche Rostschutzanstrich noch übermalt würde”. Inständig bittet er darum, dass eine Diskussion im “Ratsstübli” vielleicht noch verhindern könne, “dass die Bewohner und die vielen Besucher unserer Stadt mit einem weiteren Schandfleck (…) konfrontiert werden.” Die PTT-Generaldirektion verteidigt die Farbwahl souverän: Die Farbe Rot sei in Basel bei vielen Altbauten verwendet worden und werde in den Vogesen gemischt. Zudem verhindere Rot eine Blendwirkung auf die Lokomotivführer und gewährleiste überdies, dass die Fassade nicht in kürzester Zeit verunstaltet sei. Denn Rot sei auch der Bremsstaub der Züge.

Modell des Gebäudes.
Abb. 3: Modell des Gebäudes.

Vom Aufstieg und Fall eines Unternehmens

Wie ihre Vorgänger Suter & Burckhardt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert prägte das Architekturbüro Suter + Suter das Stadtbild von Basel nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend. Auch in anderen Regionen der Schweiz realisierte das Unternehmen ein grosses Bauvolumen, von der Automobilgarage (Schlotterbeck-Garage in Zürich) über die Färbereifabrik (Thalwil) bis hin zu Zentralwäschereien (Liestal und Basel). Seine Stärke war die Gesamtplanung von grossen Industrieanlagen. Bei seiner Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 1971 beschäftigte das einst kleine Büro bereits 340 Mitarbeitende, nach Diversifikation, Börsengang (1986) und der Expansion ins Ausland waren es Anfang der 1990er-Jahre sogar 1’200 Beschäftigte. Dann ging es rasant bergab. 1995 endete das Unternehmen schliesslich durch Zahlungsunfähigkeit und mit 400 Millionen Franken Schulden im Liquidationsverfahren.

Firmenarchiv im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv

In den Jahren 1997 bis 2010 wurde das Firmenarchiv von Suter + Suter in mehreren Schritten dem Schweizerischen Wirtschaftsarchiv SWA übergeben. Ein wesentlicher Bestandteil des Archivs bilden Dossiers zu den verschiedenen Bauten, die rund 8’000 hochkarätige Architekturfotografien und Kontextunterlagen enthalten: Projektbeschreibungen, Unternehmerlisten, Korrespondenz, Pläne etc. Die Fotos sind wertvolle Zeitdokumente für die Architektur- und Wirtschaftsgeschichte im Zeitraum von 1950 bis 1990. Sie zeigen eindrücklich Wandel und Wachstum in der Region Basel sowie in anderen Regionen, in denen das Architekturbüro tätig war. Dass den Fotos in vielen Fällen Kontextunterlagen beiliegen, erhöht ihre Aussagekraft noch. Etwas erstaunlich ist die Tatsache, dass die rund 8’000 Fotografien von mehr als 350 Urheber*innen stammen. Um ihr Schaffen zu dokumentieren, hat das Unternehmen nicht ein paar wenige “Hausfotograf*innen” ausschwärmen lassen, sondern viele Aufträge an lokale Fotograf*innen vergeben.

Für die Bearbeitung des Firmenarchivs stellt sich damit die zeitintensive Aufgabe, bei vielen Einzelpersonen die Urheberrechte abzuklären. Denn das SWA hat das Ziel, möglichst viele Fotos in hochaufgelöstem Format unentgeltlich und ortsunabhängig der Öffentlichkeit und Forschung zugänglich zu machen. Einige Urheberinnen beziehungsweise Rechtsnachfolger haben hierfür bereits ihre Zustimmung erteilt. So dürfen zum Beispiel die über Tausend Bilder des Basler Fotografen Peter Heman veröffentlicht und frei genutzt werden. Über Peter Heman erschien letzten Herbst im Christoph Merian Verlag der facettenreiche Fotoband “Flâneur der Präzision“, verfasst von Peter Röllin, Kulturhistoriker und Neffe von Peter Heman.

Publiziert auf e-manuscripta

Aber wie kommen Sie nun an die Fotos? Erschlossen und zugänglich gemacht werden diese auf der Plattform e-manuscripta. Diese Plattform zur Präsentation von digitalisiertem Archivgut brillierte übrigens 2023 beim Wettbewerb “Best of Swiss Web” gleich in drei Kategorien. Das Postbetriebsgebäude finden Sie hier. Wenn Sie oben auf den Reiter “Miniaturansicht” klicken, sehen Sie die frei gegebenen Fotografien und Begleitdokumente in übersichtlicher Form und können Sie herunterladen. Die Dokumentation gibt zum Beispiel detailliert Aufschluss über die Anforderungen an das Gebäude, die zu gewährleistenden Betriebsabläufe und die komplexe Baukonstruktion über dem Gleisfeld des Bahnhofs. Erschliessung und Rechteabklärung des Firmenarchivs sind derzeit in Arbeit, die Dossiers weiterer Bauten von Suter + Suter AG werden sukzessive digitalisiert und in den kommenden Monaten online publiziert.

Und wie geht es weiter mit dem Postbetriebsgebäude? Im Rahmen des Projekts Nauentor (Realisierungshorizont: 2031) wird dieses fast vollständig zurückgebaut und durch einen Neubau mit drei Hochhäusern ersetzt. Darin untergebracht werden Gewerbeflächen und Wohnungen. Erhalten bleibt lediglich der Sockel des Postreiters über dem Gleisfeld. Dieser wird als “nicht-rückbaubar” bewertet, erst recht nicht bei laufendem Bahnbetrieb. Wer dies detaillierter nachlesen und mehr über die raffinierte Logistik des Gebäudes erfahren möchte, sei auf den sehr informativen Blogbeitrag des Projekts “Baukulturen der Schweiz 1945-1975” verwiesen, das an der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik angesiedelt ist.

Noch steht er, der “Rostbalken”. Und falls dieser Text Sie dazu ermuntert hat, ihm vor Ort Ihre Reverenz zu erweisen, so wird er dies dankbar annehmen.

Quellen

Abbildungen

Abb. 1: Foto: Suter + Suter Architekten AG, August 1972, lizensiert unter CC-BY-SA 4.0.

Abb. 2: Foto: Peter Heman, August 1980, lizensiert unter CC-BY-SA 4.0.

Abb. 3: Foto: Modell des Gebäudes, ohne Urheberangabe.

Autor*in

Nathalie Baumann