Johann Peter Hebel und das Hochhaus

Veröffentlicht am 16.9.2020, zuletzt geändert am 31.1.2024 #Zeitgeschichte

Nun steht es nicht mehr. Das markante Hochhaus auf dem Rosental-Firmenareal des Agrochemie-Konzerns Syngenta wich einer Neugestaltung mit Park. Gebaut 1956 im Auftrag der Johann Rudolf Geigy AG setzte es den architektonischen Kontrapunkt zum Badischen Bahnhof gegenüber. Es war eines der ersten Hochhäuser in Basel und sein Bau hochumstritten. Weit mehr als in heutigen Zeiten der Bau des Messeturms und der Roche-Türme.

Das Geigy-Areal im Rosental

Etwa hundert Jahre vor 1956 hatte sich das Chemieunternehmen Geigy im Rosental angesiedelt, einem unbebauten Standort auf der “grünen Wiese” ausserhalb der Stadt. Auf dem Gelände wurden Farbstoffe für die Textilindustrie produziert; noch nicht synthetische, sondern natürliche. Obwohl die Herstellung maschinell erfolgte, mussten die Stoffe in Bottichen von Hand gerührt, in Kesseln erhitzt und auf Filtern abgetropft werden.

In einem Gewirr von Schuppen, Lagern und Fabrikgebäuden, das “Altstadt” genannt wurde, stapelten sich Fässer und andere Behältnisse, standen Schubkarren und kreischten Sägen. Diese “Altstadt” blieb im Wesentlichen erhalten als sich Geigy 1931 als Konzernhauptsitz ein repräsentatives neoklassizistisches Hauptgebäude gegenüber dem Badischen Bahnhof leistete. Dieses Hauptgebäude kennen wir noch heute.

Das Rosental-Firmenareal in der Vogelperspektive

“Altstadt” mit Hochhaus

Der gewissermassen “naturwüchsige” Zustand des Rosental-Areals mit seinem Nebeneinander von gewerblicher “Altstadt”, funktionalen Forschungslabors und repräsentativem Hauptsitz rief Mitte der 1950er-Jahre geradezu nach einer Neugestaltung und Gesamtplanung. Dies umso mehr, als der Chemiekonzern im Nachkriegsboom rasant anwuchs, während sich im weitgehend überbauten Rosentalquartier kaum mehr freies Gelände kaufen liess. Geigy konnte damals weder die Baufläche zur Rosentalstrasse hin erwerben noch wurde ihr der Abbruch der “Altstadt” erlaubt.

Das Hochhaus der Firma Geigy nach der Eröffnung 1957
Das Hochhaus der Firma Geigy nach der Eröffnung 1957 (© Firmenarchiv Novartis AG).

Aus diesem Platzmangel heraus plante Geigy auf einem Grundriss von knapp 30 Quadratmetern in die Höhe. 1952 legte das Architekturbüro Burckhardt Architekten einen Arealplan mit einem Hochhaus vor. Die Pläne für das Hochhaus entsprachen aber keineswegs den geltenden Bauvorschriften von maximal 20 Metern Gebäudehöhe und wurden von der Stadt abgelehnt. Man musste sich erneut zusammensetzen. Im Frühjahr 1953 marschierten die Architekten, Geigy-Chef Carl Koechlin und die Heimatschutzkommission ins Baudepartement und trugen ihre Plädoyers vor.

Hebel und das Hochhaus

Ihren rhetorischen Höhepunkt fand die hitzige Diskussion im Statement des Vorsitzenden der Heimatschutzkommission: Bei einem so unbaslerischen, landesfremden, frevelhaften Vorhaben wie einem Hochhaus, das den Blick von der Pfalz auf den Tüllinger Berg verdecke, würde sich, so rief er aus, “Johann Peter Hebel im Grab umdrille!”. Fritz Ebi, Leiter des Baudepartements, und Geigy-Chef Carl Koechlin – beide seit dem Gymnasium miteinander bekannt und per Du – einigten sich schliesslich auf einen Bau in Maximalhöhe von 52 Metern.

Blick ins Personalrestaurant am 19. Juni 1967
Blick ins Personalrestaurant am 19. Juni 1967 (© Staatsarchiv Basel-Stadt).

Das Hochhaus bot den Verwaltungsabteilungen von Geigy Platz und modernste Infrastruktur. Auf eine feste Möblierung der Büros wurde verzichtet und so räumliche Flexibilität geschaffen. Das Gebäude war vollständig klimatisiert und enthielt im Dachgeschoss einen Empfangs- und Ausstellungsraum sowie eine Dachterrasse. Geschmückt mit der Schweizerfahne stand es 1957 zur Einweihung bereit.

Die Bau-Utopie von 1968

1968 reichten Burckhardt Architekten schliesslich einen Gesamtplan für das Areal vor. Dieser galt als stadtplanerisch glückliche Lösung. Er sah hinter dem Hochhaus eine hufeisenförmige Gebäudeanlage vor, die einen Park mit nicht öffentlichem Restaurant mit Dachgarten umschloss. Die Architekten unterteilten das Areal in die Funktionszonen “Pharma”, “Farben” und “Agro” sowie die Arbeitsbereiche von Produktion, Forschung und Verwaltung. Die einheitliche und streng geordnete Bebauung wirkte wie aus einem Guss. Entsprechend würdigte die Basler Denkmalpflege die “klare Struktur und kraftvolle Plastizität” des Vorhabens.

Die Bau-Utopie von 1968 wurde jedoch nicht vollständig umgesetzt: Dem “Hufeisen” fehlte der rechte Flügel und es wurde auch nicht bis zur Schwarzwaldallee vorgezogen. Die Pläne blieben aus mehreren Gründen Makulatur. 1970 fusionierten Geigy und Ciba, und drei Jahre später setzte eine schwere ökonomische Krise ein, die hohe Investitionen in Neubauten nachrangig werden liess. Die Ciba-Geigy Nachfolgerin Syngenta sanierte die Gebäude des Hufeisens und ergänzte sie. Der umfangreiche Rest des Areals wurde verkauft und dient heute anderen Unternehmen und Instituten. Das Hochhaus fiel den Planungen zum Opfer. Es sollte ursprünglich durch ein neues und flaches Hauptgebäude des Konzerns ersetzt werden. Mit dem Übergang von Syngenta an ChemChina wurden diese Pläne nicht mehr weiterverfolgt.

Der 1968 vorgelegte Modellentwurf von Burckhardt Architekten zur Neugestaltung des Geigy-Areals
Der 1968 vorgelegte Modellentwurf von Burckhardt Architekten zur Neugestaltung des Geigy-Areals (© Firmenarchiv Novartis AG).

Quellen

Abbildungen

Abb. 1 (Slider): Luftaufnahme Syngenta-Areals 2019. Im Vordergrund der ehemalige Syngenta-Konzernsitz «Bau 1» gegenüber vom Badischen Bahnhof: Kanton Basel-Stadt.

Abb. 2 (Slider): Luftaufnahme Syngenta-Areals 1967 mit Hochhaus: Staatsarchiv Basel-Stadt, BALAIR 60018.

Abb. 3: Hochhaus Firma Geigy, 1957: Firmenarchiv Novartis AG.

Abb. 4: Personalrestaurant, 1967: Staatsarchiv Basel-Stadt, Fotoarchiv Hans Bertolf, BSL 1013 1-3365 1.

Abb. 5: Modellentwurf Burckhardt Architekten 1960er-Jahre: Firmenarchiv Novartis AG.

Autor*in

Walter Hochreiter ist promovierter Historiker und Museologe und leitet seit zwanzig Jahren die Agentur “ifu. Institut für Unternehmensgeschichte” Weil am Rhein/Basel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Wirtschaftsgeschichte, Stadtgeschichte und der Geschichte des Nationalsozialismus. Er ist Mitglied des Vereins Basler Geschichte.