Anjama bleibt in Basel

Veröffentlicht am 7.4.2021, zuletzt geändert am 31.1.2024 #Neuzeit

Sie stammte aus einer Herrscherfamilie und wäre sie in Akropong geblieben, wäre Anjama wohl Königinmutter geworden. Es kommt anders: Sie ist 12-jährig, als sie eine Missionarsfamilie auf deren Rückreise nach Basel begleitet. Hier bleibt sie bis zu ihrem Tod 1882.

Begegnet sind wir Anjama erstmals vor rund drei Jahren. Für das Gemeindelexikon Riehen suchten wir nach interessanten Frauenbiografien und stiessen dabei auf einen Artikel des Historikers Hans Werner Debrunner, erschienen im Riehener Jahrbuch 1982. Detailreich schildert er ihr Leben, eingebettet in den Kontext der Basler Missionswerke.

Von Akropong nach Basel

Anjama kam 1846 in Akropong, einem Ort im heutigen Ghana zur Welt. Hier unterhielt die Basler Mission seit 1842 eine Missionsstation. Anjamas Mutter, Afro Pedei, die Tochter eines bedeutenden lokalen Chiefs, pflegte gute Beziehungen zu den Basler Missionaren. Anjama war die dritte ihrer Töchter, die in einem Missionshaushalt als Hausmädchen diente. Sie trat 1853 als Siebenjährige in den Haushalt des Linguisten Johann Gottlieb Christaller ein. Hier half sie in der Küche mit, wusch Wäsche und dergleichen. Im Gegenzug erhielt das Mädchen eine christliche Erziehung und Schulbildung.  

Als Johann Gottlieb Christaller 1858 nach Basel zurückbeordert wurde, sollte die mittlerweile 12-Jährige als Kindermädchen für den neugeborenen Säugling der Familie mitreisen. Afro Pedei erklärte sich mit den Plänen der Familie einverstanden; Anjama wurde erst einen Tag vor ihrer Abreise informiert. Nach knapp drei Monaten trafen Christallers und Anjama in Basel ein, von wo die Familie nach Württemberg weiterfuhr. Anjama blieb in Basel zurück.

Porträt von Anjama aus Johannes Kobers Biografie von 1884
Abb. 1: Porträt von Anjama aus Johannes Kobers Biografie von 1884 (© Universitätsbibliothek Basel).

Riehen statt Akropong

Sie sollte so bald als möglich nach Afrika zurückreisen, denn in der Zwischenzeit war das Experiment, ausgewählte Afrikanerinnen und Afrikaner in Europa für die Mission auszubilden, abgebrochen worden. Doch es kam anders: Christian Friedrich Spittler, charismatischer Gründer und mit 76 Jahren auch ältestes Mitglied der Basler Mission, hatte sich schon lange gewünscht, “heidnische Kinder in christlicher Liebe und Zucht” zu unterweisen. Er erhielt die Erlaubnis, Anjama bei sich aufzunehmen und für ihre Erziehung zu christlichem Gehorsam und Unterricht zu sorgen.

An dieser Stelle verlässt Debrunner die Nacherzählung der Anjama-Biografie aus der Feder des Pietisten Johannes Kober von 1884. Debrunner lässt den missionarischen Eifer Spittlers nicht als alleinige Motivation gelten, vielmehr unterstellt er dem alten Mann, in Anjama auch eine willkommene Haushaltshilfe und Gefährtin für seine 48-jährige Adoptivtochter Sette gesucht zu haben. Er verdächtigt Spittler, mit der Aufnahme des dunkelhäutigen Mädchens auch nach Ruhm getrachtet zu haben: Durchaus nachvollziehbar, erregte ein afrikanisches Kind in Basel im 19. Jahrhundert viel Aufmerksamkeit, und Ehre gebührte dem, der sich für die Christianisierung Afrikas einsetzte.

Vereitelte Fluchten, gebrochener Wille?

Anjama versuchte zu fliehen und sträubte sich, Hausarbeiten gehorsam auszuführen. Die Passagen aus dem Text Kobers über ihre erste Zeit im Hause Spittlers sind kaum zu ertragen: Anjama wird als Kind einer “niedern Stufe geistiger Entwicklung” beschrieben. Umso sichtbarer wird für den Biografen die “umgestaltende Kraft des Christentums”. Anstatt in “Sünde, Unwahrheit und Unkeuschheit, Aberglauben und Trägheit” zu verbleiben, wurde Anjama zu einem “Kind des Friedens”, einem “Hoffnungsstrahl” für die beginnende Morgendämmerung über dem “finstern Afrika”. Der Weg dorthin führte nicht nur über “christliche Liebe”, sondern auch über das Erlernen “christlichen Gehorsams”: Anjama musste einiges ertragen, “wie es so geht, bis der eigene Wille gänzlich gebrochen ist”.

Ob sie ihre Situation als ausweglos empfand und sie sich deshalb ihrem Schicksal ergab? Mit der Zeit integrierte sie sich in die kleine Gemeinschaft und übernahm deren pietistische Glaubenswelt. Im Sommer 1859 wurde Anjama auf den Namen Susanna Luise getauft. In den folgenden Jahren führte sie gemeinsam mit Sette Spittler den Haushalt: im Sommer jeweils im Klösterli in Riehen, im Winter im Fälkli in Basel. Zahlreich waren die Gäste Spittlers, und Anjamas Engagement für sein “Reichgotteswerk” auch nach dessen Tod vielfältig und endlos.

Ihre Entscheidung

Sie pflegte innerhalb der pietistischen Gesellschaft  einen kleinen Freundeskreis, zu welchem auch verschiedene Afrikanerinnen und Afrikaner gehörten, die um Riehen und Basel lebten. Am 30. März 1882 starb Anjama im Alter von 36 Jahren in Riehen, in der Obhut einer Freundin, ohne Akropong je wieder gesehen zu haben.

Anjamas Lebensgeschichte ist verstörend. Uns erschien sie in einer ersten Lesung als Geschichte einer gewalttätigen Unterwerfung, was sie zweifelsfrei auch ist. Doch damit werden wir Anjama nicht gerecht. Innerhalb dieser Erzählung hätten wir beinahe etwas Wesentliches übersehen: An der Goldküste rechnete man mit ihrer Rückkehr. Je länger sie in Basel blieb, desto dringlicher wurden die Forderungen der Mutter. Vor allem nachdem ihre Schwester gestorben war und von ihr erwartet wurde, Haushalt und Erziehung deren beider Kinder zu übernehmen. Selbst Missionare drängten die junge Frau, in ihre Heimat zurückzukehren. Anjama zögerte. 1866 schliesslich trat sie 20-jährig vor das Komitee der Basler Mission. Sie hatte sich entschieden und teilte den anwesenden Männern mit, dass sie nicht zurückreisen würde.

Quellen

Literatur

Staatsarchiv Basel-Stadt

StABS PA 653 a I 17. Susanna Luise Anyama Markus Spittler.

StABS PA 576 E 23 Pfr. Wilhelm Ecklin: Notizen zu Begräbnisreden, 1862–1917. 3. Susanna Louise Anyama (1847–1882) von Ostafrika.

Literatur

Kober, Johannes: Anjama. Bild des äusseren und inneren Lebens einer Tochter Afrikas. Basel 1884.

Debrunner, Hans Werner: Presence and Prestige. Africans in Europe. A History of Africans in Europe before 1918. Basel 1979.

Debrunner, Hans Werner: Eine Afrikanerin in Riehen. Susanna Luise Anjama (1846-1882). In: Jahrbuch z’Rieche 1982. S. 32–47.

Debrunner, Hans Werner: Anjama und ihre Schwestern. Zur Geschichte von Afrikanerinnen in der Schweiz. In: Gerhard Höpp: Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945. Berlin 1996. S. 275–286.

Abbildungen

Abb. 1: Kober, Johannes: Anjama. Bild des äusseren und inneren Lebens einer Tochter Afrikas. Basel 1884. Titelblatt.

Autor*innen

Franziska Schürch studierte Theaterwissenschaft, Kulturwissenschaft und Musikwissenschaft. Es folgten Lehr- und Forschungsaufträge und die wissenschaftliche Leitung des Inventars des kulinarischen Erbes der Schweiz. Isabel Koellreuter studierte Geschichte, Kunstwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Seither war sie als freiberufliche Historikerin an der Ausarbeitung verschiedener Ausstellungen, Lehrgänge und Publikationen beteiligt.

In ihrem 2010 gegründeten Büro “Schürch & Koellreuter. Kulturwissenschaft und Geschichte” entstehen vielfältige Projekte zur Vermittlung von Geschichte und Kultur an ein breites Publikum. Und sie sind Autorinnen der Bände 6 und 7 der neuen Basler Stadtgeschichte.